1. Die Gründung der Landwirtschaftsschule Bad Segeberg

Bereits um 1800 hatte Andreas Staudinger in Flottbek bei Hamburg auf dem Gut des Barons von Voght eine landwirtschaftliche Ausbildungsstätte unterhalten.
Hundert dänische Dukaten als Schulgeld machten verständlich, daß nur wenige Söhne von Großgrundbesitzern diese Anstalt besuchten.
Aber auch die waren anscheinend nicht alle motiviert, so daß Staudinger trotz kleiner Schülerzahl - sie schwankte zwischen 8-15 Schülern - die Schattenseiten des Lehrerberufes erfahren mußte.
Er schrieb am 18.1.1812 an Johann Heinrich von Thünen, der 1801 ein Jahr in Flottbek war :

Ich habe diesen Herbst 4 dieser jungen Teufel weggejagt, ich habe jetzt nur noch 5 Schüler, worunter ein einziger ist, der ernstlich was lernen will.
Da bisher bei meiner Anstalt alles nur auf den guten Willen der Schüler ankam, ob sie was lernen wollten oder nicht
und mir nicht das geringste executive Mittel zu Gebote stand, so sehe ich bei dieser reichen verdorbenen Brut das schlechteste Resultat vor Augen.
Ich will deswegen in meinem neuen Plan in Hinsicht des Unterrichts und der öffentlichen Prüfungen die größte Strenge einführen,
damit die reichen und liederlichen Jungen von hier wegbleiben und ich vielleicht aus dem Mittelstande etwas Gutes und Unverdorbenes erhalte.

Quelle: P. Vollrath "Landw. Beratungs- und Bildungswesen in Schleswig-Holstein in der Zeit von 1750 - 1850", Karl Wachholtz-Verlag Neumünster

Der Schulbetrieb wurde bald danach eingestellt.
Einige Straßennamen in Hamburg Flottbek haben Beziehungen zur damaligen Zeit, z.B.: Baron-von Voght-Straße, Staudinger-Straße und von Thünen-Straße.
Eine größere Ausstrahlung in Schleswig-Holstein hatten später die Ackerbauschulen in Preetz (1867), in Kappeln (1868) und in Hohenwestedt (1870).
Die 3-semestrige Schule in Hohenwestedt wurde auch von Landwirten aus dem Kreis Segeberg besucht.
Bis 1911 besuchten viele Bauernsöhne aus dem Kreis Segeberg die Landwirtschaftsschulen in Bad Oldesloe (1898), in Elmshorn (1896) und - vornehmlich, aus dem Nordkreis - in Hohenwestedt.
Noch 1921 war Helmuth Saggau aus Schmalensee Unterklassenschüler in Hohenwestedt, weil die Segeberger Schule überfüllt war.
Die Oldesloer Schule konnte bald nach ihrer Gründung kaum alle Schüler aufnehmen. Sie bevorzugte darum Bewerber aus dem Kreis Stormarn.
Am 1.3.1907 beantragte die Stadt Segeberg beim Kreis Segeberg die Einrichtung einer landwirtschaftlichen Winterschule, da der Kreis Stormarn angeblich keine Segeberger Schüler aufnehmen wolle.
Landrat Dr. Ilsemann erbat vom landwirtschaftlichen Kreisverein eine Stellungnahme und gab zu bedenken, ob eine Schule in Segeberg kreisdeckend sein könnte.
Zu der Zeit waren Bad Oldesloe - Bad Segeberg - Neumünster (1875), Altona - Kaltenkirchen (1884) und Bad Oldesloe - Elmshorn (1907) durch Bahnlinien verbunden.
Der Kreis Segeberg wurde 1867 durch die preußische Kreisverfassung aus den Ämtern Segeberg, Traventhal, und Gebietsteilen weiterer holsteinischer Ämter geschaffen.
Erst 1932 kamen die Gemeinden Boostedt, Braak, Brokenlande, Gadeland, Großenaspe, Groß Kummerfeld, Heidmühlen, Kleinkummerfeld, Latendorf, Willingrade und Wittorf zum Kreisgebiet hinzu, nachdem der Landkreis Bordesholm aufgelöst worden war.
Noch 50 Jahre später, im Jahre 1986, waren diese Gemeinden nicht den Dienstbezirken der Landwirtschaftsschulen Kaltenkirchen und Bad Segeberg, sondern kreisextern der Landwirtschaftsschule Preetz zugeordnet.

Durch die letzte Kreisreform 1970 entstand Norderstedt als kreiszugehörige Stadt aus den Orten Garstedt, Friedrichsgabe (vorher Kreis Pinneberg) und Harksheide, Glashütte (vorher Kreis Stormarn).
Dafür gehörten Wittorf und Gadeland bereits seit einigen Jahren zum Stadtbereich Neumünster.

 

 

Ein Blick auf die Kreisgrenze von damals machen die Bedenken des Landrates gegen den Schulstandort Bad Segeberg verständlich.
In der Tat war der Südwestkreis besser für die Städte Bad Oldesloe und Elmshorn als für die Kreisstadt erschlossen.
Die Strukturprobleme der Kreisstadt zum Südwestkreis bestehen im Grundsatz heute noch.
Die Standortfrage nur einer Landwirtschaftsschule wurde noch in jüngster Zeit - im Jahr 1980 - mit Argumenten der Infrastruktur des Kreises geführt.
Im Endergebnis teilte der Kreisausschuß der Stadt Bad Segeberg am 9.4.1907 mit:
Der Kreisausschuß hat in seiner Sitzung vorn gestrigen Tag beschlossen, daß zur Zeit keine Veranlassung vorliege, den dortigen Anregungen, betreffend die Einrichtung einer landwirtschaftlichen. Winterschule in der Stadt Segeberg, näher zu treten, da es bei dem Mangel einer Bahnverbindung zwischen dem Osten und dem Westen des Kreises mit der Stadt zweifelhaft erscheint, ob eine solche Schule in Segeberg auch wirklich für den ganzen Kreis von Nutzen sein werde.

Im Nachhinein ist es offensichtlich, daß dieser Bescheid nur ein Hinauszögern der fälligen Entscheidung für eine Schulgründung im Kreis Segeberg war, unabhängig von einer Ost-West-Bahn im Kreis Segeberg, die westlich von Segeberg nie geschaffen wurde.
Das Thema war damit auch nicht vom Tisch, die Zeit war reif.
Am 26.11.1908 stellte der Vorsitzende des landwirtschaftlichen Kreisvereins, Wendroth aus Müssen, erneut einen Antrag auf Schulgründung, nachdem das Oldesloer Schulkuratorium das Schulgeld für kreisfremde Schüler von 50 auf 100 M erhöht hatte.
Die Stadt Segeberg erklärte sich bereit, Räume zu beschaffen und die Kosten für Heizung und Beleuchtung zu übernehmen.

Diese obige Erklärung der Stadt Segeberg aus dem Jahr 1908 wurde im Wintersemester 1946 wieder aktuell,
als die räumliche Unterbringung der Landwirtschaftsschule immer katastrophaler wurde.

Im Jahr 1908/09 besuchten 32 Bauernsöhne aus dem Kreis Segeberg die Oldesloer Landwirtschaftsschule.
Die befragten landwirtschaftlichen Vereine meldeten dem Kreisverein 89 Schüler im 1. Schuljahr, falls in Segeberg eine Schule gegründet würde.
Darauf beschloß der Kreistag am 30.4.1909 die Einrichtung einer landwirtschaftlichen Winterschule zum 1.10.1910.
Der Staatszuschuß betrug 2.500 M. Er konnte aber erst zum Jahr 1911 in den Staatshaushalt der Provinz eingeplant werden.
Also verschob man die Schuleröffnung auf den Herbst 1911.
Landrat Ilsemann sah als weiteren Vorteil, daß im Jahr 1911 der Nordkreis durch die entstehende Bahnlinie Segeberg-Bornhöved-Kiel besser angebunden sein würde.
Am 7.3.1910 wählte der Kreistag ein Kuratorium für die landwirtschaftliche Winterschule :

Die Direktorenstelle wurde im Landwirtschaftlichen Wochenblatt Kiel und in der Landwirtschaftlichen Presse Berlin mit folgendem Text ausgeschrieben :

Landwirtschaftliche Winterschule in Segeberg
Gesucht wird zum 1. Oktober 1911
Direktor der neu errichteten landwirtschaftlichen Winterschule in Segeberg
(Holstein).
Anfangsgehalt 3 000 M, steigend in 6 Zulagen von je 300 M nach je 3 Jahren
bis zum Höchstgehalt von 4 800 M, daneben 560 M Wohngeldzuschuß.
Lebenslauf und Zeugnisse sind bis zum 1. Februar 1911 an den
unterzeichneten Landrat einzusenden.

Segeberg, den 21. Dezember 1910

Der Landrat

Um Mißverständnisse auszuschließen, sei hinzugefügt: Das waren Jahresgehälter, keine monatlichen Einkünfte!
Für einen Liter Milch zahlte die Meierei damals ca. 8 Pfg.
Am 25.11.1911 entschied das Kuratorium sich für den aus Dithmarschen stammenden Bauernsohn Dr. Hinrichs, derzeit Direktor der neu gegründeten Landwirtschaftsschule Eschershausen.
Er war den Segebergern bereits aus seiner Tätigkeit bei der Landwirtschaftskammer bekannt .

Der Kreistag bestätigte im Mai 1911 die Wahl Dr. Hinrichs und die Einrichtung einer 2-semestrigen Winterschule im Obergeschoß des Restaurants " Harmonie " in der Hamburger Straße 64.
Die Stadt war Eigentümer des Anwesens geworden, nachdem mehrere Vorbesitzer in Konkurs gegangen waren.

Quelle: W. Kasch "Bad Segeberg in alten Ansichten", Europäische Bibliothek Zaltboramel/Niederlande

Im gleichen Jahr schlossen die Landwirtschaftskammer und der Kreis Segeberg einen Schulvertrag. Danach war der Kreis Schulträger und übernahm die Personalkosten der Lehrkräfte, während die Landwirtschaftskammer den Schulbetrieb bezuschußte und die Pensionszahlungen der pensionierten Lehrkräfte übernehmen wollte. Die Lehrkräfte waren zusätzlich als Wanderlehrer für die Landwirtschaftskammer tätig. Der Landrat war ihr dienstlicher Vorgesetzter.

Im August und September 1911 wurde die Schuleröffnung in dem Segeberger Kreis- und Tageblatt bekannt gemacht.
Zu der Zeit lagen bereits 30 Schüleranmeldungen vor.Das Schulgeld betrug 50 M im Halbjahr (1 Ztr. Roggen = 10 M),
der ganztägige Unterricht begann am Mittwoch, d. 18.10. vormittags um 10.00 Uhr mit einer kleinen Feier und in der Folge jeweils vormittags 9 Uhr 5 Minuten.

Der Lehrplan sah 34 Wochenstunden mit folgenden Fächern vor :

Lehrgegenstände ..................................................................................................Wochenstunden
................................................................................................................. Klasse II ................... Klasse I
Deutsche Sprache :
a) Grammatik................................................................................................. .2.............................. 2
b) Diktat/Aufsatz ............................................................................................2...............................2
Geschäftsverkehr ............................................................................................2...............................1
Rechnen :

a) allgem. bürgerliches Rechnen .....................................................................4................................-
b) landw. Rechnen ........................................................................................-................................ 2
Geometrie und Planzeichnen ..........................................................................2.................................-
Wirtschaftsgeographie ................................................................................ ..1.................................-
Verwaltung und Gesetzeskunde .....................................................................2.................................-
Feldmessen, Nivellieren..................................................................................-................................ 2
Grundlegende Wissenschaften
Physik einschl. Wetterkunde ....................................................................... . 3.................................1
Chemie ......................................................................................................... 5 ............................... 2
Pflanzenkunde................................................................................................3..................... ...........-.
Tierkunde, Anatomie:
Physiologie der Haussäugetiere ..................................................................... 5...................................-
Volkswirtschaftslehre .....................................................................................2...................................-
Fachwissenschaften :
Allgem. Ackerbaulehre einschl.Düngerlehre ...................................................-................................. 6
Spezielle Pflanzenbaulehre ........................................................................... - ................................ 3
Obstbau ......................................................................................................1................................ -
Tierzucht ..................................................................................................... - ............................... 7
Tierheilkunde .............................................................................................. - ................................ 3
Betriebslehre ...............................................................................................- ................................ 4
Buchführung ............................................................................................... -................................. 1
insgesamt ............................................................................................... 34.............................. 34

Die Vermittlung neuer produktionstechnischer Erkentnisse im Vollzeitunterricht, diese Zielsetzung war Auslöser für die Gründung von landwirtschaftlichen Fachschulen gewesen.
Der Lehrplan enthielt daher vor allem Grundlagen- und Anwendungsfächer der Produktionstechnik des Ackerbaues und der Viehhaltung.
Die Naturwissenschaften fanden mit 5 Stunden Chemie und 3 Stunden Physik in der Unterklasse besondere Berücksichtigung.
Auf die Festigung der Deutsch- und Rechenkenntnisse glaubte man damals noch nicht verzichten zu können.
Dagegen wurden betriebswirtschaftliche Zusammenhänge des Gesamtbetriebes nur in wenigen Wochenstunden gelehrt.
Heute hat die Betriebslehre mit 5 Wochenstunden in der Unterklasse und 8 Stunden in der Oberklasse einen erheblich höheren Anteil.
Deutsch und Rechnen sind in den beiden Semestern der Landwirtschaftsschule seit 30 Jahren keine Unterrichtsfächer mehr.

 

Die Lehrkräfte in der 1. Reihe von links: Kröck, Kissel, Dr. Hinrichs, Scharnweber, Rottgardt

Alle Schüler trugen damals grüne Mützen, bis auf den "Linksaußen im Bild", Eduard Severin aus Fahrenkrug.
"Er lehnte die Einheitsmütze ab", weiß sein Mitschüler Ernst Rickert zu berichten.
Ernst Rickert (90 J.) aus Bebensee und Paul Feddern (93 J.) aus Stubben können im Jubiläumsjahr 1986 aus eigenem Erleben vom Schuljahr 1911 erzählen.
Viele Schüler fuhren täglich mit dem Fahrrad zur Schule, einige kamen mit der Eisenbahn und etliche wohnten in Bad Segeberg.
Die Landstrecke Leezen - Segeberg war damals strapaziöser und zeitlich wesentlich länger als heute die Autoroute Bad Bramstedt - Bad Segeberg.
Der 1. Weltkrieg unterbrach die wirtschaftliche Entwicklung der Landwirtschaft und den Aufbau der Landwirtschaftsschule.
Außer dem Direktor als landwirtschaftlicher Fachlehrer erteilten Lehrkräfte des Lehrseminars und Landschullehrer den allgemeinbildenden Unterricht.
Im Aufbau waren 2 landwirtschaftliche Fachlehrer vorgesehen, zwischen den beiden Kriegen waren es 3 Landwirtschaftslehrer
und erst nach 1945 erteilten 4 Fachkräfte den Unterricht.
Das heutige Konzept der Landwirtschaftskamner sieht nach der Konzentration der Schulen 6 Lehr- und Beratungskräfte und 3 Wirtschaftsberater je Schulstandort vor.

Die Schule wurde Ausbildungsstätte für Kriegsversehrte.

Im Frühjahr 1916 hatten schon 106 Kriegsinvaliden die angebotenen Lehrgänge besucht

Die Novemberrevolution 1918 blieb in Segeberg zunächst noch unter Kontrolle.
Vom Arbeiter- und Soldatenrat des Kreises erhielt Dr. Hinrichs einen Ausweis, der ihm Freizügigkeit erlaubte.

Friseur Soltau - er hatte den Ausweis unterschrieben - und Rickers, Kükels, waren neben anderen Bürgern um geordnete Verhältnisse bemüht.
Die Auswüchse der Novemberrevolution erreichten Segeberg dennoch am 17.3.1919.
Dr. Hinrichs vermerkte dazu in seinem Tagebuch:
"Vor dem Landratsamt warer zur Sicherung Doppelposten mit geladenem Gewehr aufgestellt, die von den Revolutionären überwältigt wurden.
Angesehene und mutige Gutsbesitzer wie Hastedt, Wensin, Isenberg, Travenhorst und von Stumm, Rohlstorf, die sich im Landratsamt aufhielten,
wurden tätlich angegriffen und ihnen 40 Gewehre fortgerissen. Die Scheiben in der Haustür des Landratsamtes wurden eingeworfen. "
In den ersten Nachkriegsjahren holten viele Kriegsteilnehmer den Fachschulbesuch nach.
Die bestehenden 14 Schulen in Schleswig-Holstein waren überfüllt.
1920 konnten 872 der angemeldeten Schüler, fast ein Drittel, trotz Einrichtung von Parallelklassen, nicht aufgenommen werden.
Deshalb wurden in diesen Jahren 11 weitere Schulen in der Provinz gegründet. Auch der Kreis Segeberg erhiwlt 1920 imWesten in Kaltenkirchen einen zweiten Schulstandort..
1923 war die Schulneugründung im Lande - ausgenommen Burg a.F. (1931) und Nieblum/Föhr (1952) - abgeschlossen.