Brief von CHD an seine Söhne Detlev und Hermann
die zu der Zeit in Segeberg auf dem Lehrerseminar waren

Text: Elmshorn 4.11.1911
Für das Rezept zum Birnenteig (in meiner Kindheit "Awenkater", weil im Backofen gebraten) sprechen wir unseren Dank aus,
denn erprobt, hat er, nur er hat die Überzeugung vermittelt, daß man in S. nicht nur guten Geschmack hat, sondern versteht, ihn zu befriedigen. Wir haben dem Wohlgeratenen volle Ehre angetan und werden ihn weiter empfehlen Detlev werde ich einige Bücher für den Religionsunterricht senden. Ich habe solche Werke wohldurchgelesen, aber nie im Unterricht ohne Weiteres verwertet sondern habe immer persönlich selbständig den Entwurf nach eigener Überlegung und Stimmung fertiggestellt und bin gut damit gefahren.
Einige Gesichtspunkte: 1. Der Rel-Unterricht muß gemütvoll, gewinnend, praktisch d.h. lebensvoll sein; 2. Er

stütze sich als christlicher Rel. -U (Unterricht) auf die biblische Geschichte u. Erfahrung.
3. Die Erfahrungen anderer in Lehrbüchern, Leitfäden usw. eigne man sich an, gewöhne sich aber selbständig zu entwerfen
und vorzugehen.
So habe ich es stets gemacht, habe rege andere Bücher gelesen, nie aber sozusagen wiedergekäut, was andere vorgedacht.
Mir ist sehr zuwider gewesen, wenn ein Lehrer im Buch oder ein Konzept auf dem Katheder vor sich liegen hatte und bei dem Hinterfragen nach einer Antwort die neue Frage ablesen mußte.
Junge Lehrer fürchten oft, nicht Stoff genug zu haben für eine Lektüre von einer halben Stunde, und ich habe auch gesehen,
daß sie in Verlegenheit kommen. Ein solches Armutszeugnis dürft Ihr Euch nicht ausstellen.
Eine gute Vorbereitung muß so in die Sache führen, daß man keinen Mangel

sondern Überfluß an Gedanken hat. Man muß durch klare Diszipilin die Fülle beherrschen.
Für die einzelnen Katechismen muß man die Disposition selbst entwerfen.
Während der Unterrichtung immer zielbewußt sein, sich durch Hindernisse davon abbringen lassen,
wenn auch Umwege nicht immer zu vermeiden sind.
Die Religionsstunden sind mir immer sehr lieb gewesen, nicht nur, weil sie in ???? Höhen führen,
sondern weil sie, wie kein anderer Unterricht, Lehrer und Kinder so innig vereinigen, weil gerade hier der Lehrer sein Bestes, sich selbst den Kindern geben kann und weil gerade hier die Kinder ihr Gemüt öffnen.
Im Religionsunterricht sind hauptsächlich Pädagogen, als Erziehungsmittel steht er oben an.
Ich schicke Dir, lieber Detlev einige Bücher mit, nicht daß sie Dir als Eselsbrücken dienen;
sondern das Du immer vergleichen kannst.

Lieber Hermann! Deine Karte haben wir heute erhalten u.wir werden Deinem Wunsch nachkommen,
noch heute den Korb absenden. Hans Möller (Sohn seiner Tochter Marie in Ulzburg) schrieb, daß sieben Wagen eines Zirkus,
der sich in mehrere Abteilungen aufgelöst, nach Ulzburg geholt haben.
Vorgestern und gestern hatten wir Überschwemmung in den Straßen, viele Keller waren voll gelaufen u. werden nun leer gepumpt.
Lese Goethe, Aus meinem Leben,.
Die Stelle 2. Teil S.98, an der er von der Durchsicht seiner aus Leipzig geschriebenen Briefe erzählt, hat mich besonders angezogen, weil es mir zeigt, eine parallele mit Rücksicht auf Euch zu ziehen. Lest die Stelle auch einmal.
Helli haben ihr neues Haus nun bezogen, im alten sind die neuen Bewohner tätig.
Nun noch ein Rat.
Zersplittert Eure Kraft nicht durch Völlerei usw.. Alles könnt Ihr doch nicht in ein paar Jahren.
Sammelt sie vielmehr in dem Euch gewiesenem Punkt. Schiller hats so schön gesagt: "Wer etwas ??? leisten will"
Und nun zum Schluß! Lebewohl u. danke u. schreibt an uns, wenn Ihr Zeit habt.
Seid herzlich gegrüßt von uns zwein Euer Vater

Wer etwas Großes leisten will, muß tief eindringen, scharf unterscheiden, vielseitig verbinden,
und standhaft beharren.
Friedrich von Schiller